Durst 10/2020

Hauptgang  11 Vorlieben der Schweizerinnen und Schweizer etwas anders sein können. Einheimische hin­ gegen werden animiert, ähnliche Rezepte selber zuzubereiten und auszuprobieren. Spe­ zialitätenrestaurants können zudem für Zuge­ wanderte auch ein Sprungbrett in die Selbst­ ständigkeit und zum Erfolg sein. Fördert der kulinarische Austausch die Integration der Zugezogenen? Essen und Trinken sind wohl die schönsten und unproblematischsten Seiten der Migration. Wenn der kulinarische Austausch beimKochen und Essen steckenbleibt, fördert er das gegen­ seitige Verständnis allerdings nicht zwingend. Dann nämlich, wenn die Zugezogenen (und ihre «exotischen» Speisen) nur als Vertreterinnen und Vertreter der typischen Küche wahrge­ nommen werden, wenn sie also auf ihre Ess­ kultur reduziert werden und nicht als Individu­ en wahrgenommen werden. Die Schweizer Gastronomie leidet vor allem bei den Köchen an einemFachkräftemangel. Inwiefern hilft die Migration da weiter? Ich denke, da liefert die Zuwanderung aus EU- und EFTA-Staaten einen substanziellen Bei­ trag. Aber auch die rund 200 Angehörigen aus Drittstaaten, die jährlich zur Erwerbstätigkeit selbstständig zu machen.» Weil oft die ganze Familie anpackte und ganz viel Leidenschaft im Spiel war, stellte sich der Erfolg schnell ein. Und so lernten die Schweizer Pizza, Pasta und Paella kennen und schätzen. Als 1956 viele Ungaren und 1968 Tschechen vor der Sowjetunion in die Schweiz flüchten, hat dies auf die Branche weniger Auswirkungen. Diemeisten von ihnen sind in anderen Branchen gut ausgebildet und steigen nicht in die Gastro­ nomie ein. Heute hingegen stammen viele An­ gestellte aus Osteuropa. Alleine aus Ungarn sind seit 2010 fast 20000 Menschen in die Gas­ tronomie gekommen, die meisten als Fach­ kräfte. Es ist wahrscheinlich, dass einige von ihnen eigene Betriebe eröffnen werden. Die schöne Seite der Migration Lukas Rieder vom Staatssekretariat für Migration: Verändert sich das kulturelle Verständnis der Schweizerinnen und Schweizer durch das breite Angebot an internationalen Spezialitätenrestaurants? LukasRieder: Die Diversität der Küche und der Geschmäcker widerspiegelt die zunehmende Diversität der Schweizer Gesellschaft. Die Glo­ balisierung und verschiedenste Einwande­ rungsgruppen haben ihre Spuren auf dem Speiseplan der Schweiz hinterlassen. Zudem korrespondiert die Stellung der verschiedenen ethnischen Speiseangebote oft mit der Stellung der zugewanderten Gruppe. Der Wandel der italienischen Küche von der billigen und belä­ chelten Pizzabude hin zum gesunden und gehobenen mediterranen Angebot zum Bei­ spiel verlief parallel zum Aufstieg der italieni­ schen Einwanderer. Steigert die Popularität ausländischer Speisen das Verständnis gegenüber der ausländischen Bevölkerung? Die Spezialitätenrestaurants bieten laut der Eidgenössischen Migrationskommission EKM einen Raum, wo Zugezogene und Einheimische sich treffen und austauschen können. Migran­ tinnen und Migranten erhalten so die Gelegen­ heit, ihre Speisen und kulinarischen Vorlieben anzubieten, sie lernen aber auch, dass die In der Gastronomie arbeiten überdurchschnittlich viele Ausländerinnen und Ausländer. Was das für deren Integration, aber auch für das Verständnis der Einheimischen bedeutet, sagt Lukas Rieder, der Sprecher des Staatssekretariats für Migration SEM. «Spezialitätenrestaurants können für Zugewanderte ein Sprungbrett sein.» Lukas Rieder als Spezialitätenköche zugelassen werden, ha­ ben für die Schweizer Gastronomie durchaus eine gewisse Bedeutung. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Köchinnen und Köche aus Drittstaaten zugelassen werden? Die Restaurants müssen eine klare Ausrich­ tung und eine hohe Qualität der Angebote und Dienstleistungen aufweisen und überwiegend fremdländische Speisen anbieten, deren Zube­ reitung und Präsentation besondere Kenntnisse erfordern, die in unseremLand nicht vermittel­ bar sind. Köche aus Drittstaaten müssen in der Regel eine mehrjährige Ausbildung und mehr­ jährige Berufserfahrung im Fachkochbereich nachweisen, um die Qualifikationsvorausset­ zungen im Sinne des Ausländer- und Integrati­ onsgesetzes zu erfüllen. Insgesamt müssen die Ausbildung und die Dauer der Erfahrung mindestens sieben Jahre betragen. Etwas anders sieht es imFall der 60000 Portu­ giesen aus, die seit 2010 ins Schweizer Gast­ gewerbe immigriert sind: Ein Grossteil von ihnen ist in der Hotellerie beschäftigt, wo der Weg in die Selbstständigkeit schwieriger ist. Rund 43 Prozent ohne Schweizer Pass Dank Einwanderern aus China, Thailand und anderen fernöstlichen Ländern ist den Schwei­ zern seit langem auch die asiatische Küche vertraut. Während viele Eidgenossen mit Stäb­ chen ebenso gut umzugehen wissen wie mit Messer und Gabel, hat das Riz Casimir sein exotisches Image längstens verloren. Zu den grössten Zuwanderungsgruppen zäh­ len auch die Albaner, die es ebenfalls zahl­ reich in die Gastronomie zog. Viele von ihnen eröffneten Take-aways an hochfrequentierten Lagen wie Bahnhöfen. Sie realisierten früh, dass dieses Angebot immer stärker nachge­ fragt wird. Wir schreiben das Jahr 2020. Seit mehre- ren Jahren haben rund 43 Prozent der im Gastgewerbe Beschäftigten keinen Schwei­ zer Pass – mehr als in den meisten anderen Branchen. Nicht zuletzt dank ihnen zeichnet sich die Schweizer Gastronomie durch eine grosse Vielfalt aus. Und dank Angestellten aus dem Ausland hält sich der Fachkräfte­ mangel einigermassen in Grenzen. In der Tat: Die Gastronomie ist ein Integrations-­ Erfolgsmodell.

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