Durst 12/2019

10  Hauptgang Digital Detox: Hotels und Restaurants bieten ihren Gästen Ruhe und Entschleunigung Jeder Trend hat einen Gegentrend: Während immer mehr Menschen im Internet wie verrückt surfen, posten und liken, sehnt sich eine steigende Zahl an Gästen nach Entschleunigung. Digital Detox ist auf dem Vormarsch. Die Gastronomie und die Hotellerie entdecken den Reiz der digitalen Entgiftung und gewinnen damit auch junge Gäste. Noch ist das Ganze eine Nische, aber eine mit Potenzial. Soziale Kontakte statt sozialer Medien Im Hotel Alpenruh finden die Gäste, was sie zu Hause kaum noch Das ganze Jahr Digital Detox N imm dir Zeit für eine Pause» steht auf dem Holzbänkli beim Eingang. Wer imHotel Alpenruh imKiental absteigt, sucht genau das: eine Pause vom hektischen Leben unten im dicht besiedelten Mittelland und von der ständigen Erreichbarkeit. Das Wifi ist ebenso schwach wie der Handy­ empfang, die «Alpenruh» findet man weder auf BookingnochaufeineranderenBuchungsplatt­ form, und die eigene Webseite beschränkt sich auf dasWesentliche: «Ässe», «Pfusä», «Reser­ vierä», «Kontakt und Öffnigszitä». Trotzdem dürfen Steff Kälin und Marianne Hollenstein viele junge Gäste begrüssen, seit sie im April 2018 die «Alpenruh» übernommen haben. «Die Jungenkommen, umzuwandern, zuentschleu­ nigen und hier oben bei uns runterzukommen», sagt Steff Kälin und fügt an: «Im Winter schät­ zen sie die Bergwelt ebenso wie die älteren Gäste, um Schneeschuh zu laufen oder Skitou­ S tatt eines Internetzugangs bieten immer mehr Hotels Digital Detox an. Als analo­ ge Alternative zu digitalen Plattformen wie Parship und Tinder veranstalten Restau­ rants Dating-Abende. In einemweltweit beach­ teten Pilotversuch stellten Ibis Hotels in Zürich und Genf sogar einen Instagram-Sitter zur Ver­ fügung: Auf dass die Gäste analog und stress­ frei die Stadt erkunden konnten. Immer mehr Gastronomie- und Hotelleriebetriebe entdecken Digital Detox, denn Achtsamkeit und Respekt, Entschleunigung und Musse, sich Zeit zu neh­ men und einander zuzuhören sind der angesag­ te Gegentrend zum virtuellen Hype. Eine aktuelle Umfrage von Allianz Partners hat ergeben: 80 Prozent der Befragten können sich vorstellen, in den Ferien teilweise auf ihre smarten Helfer zu verzichten. Viele von ihnen sehnen sich auch in der heimischen Gastro­ nomie nach Entschleunigung und Ruhe. Inno­ vative Gastronomen nehmen diese Sehnsucht auf und erreichen damit auch junge Gäste. Lieber Naturerlebnis als Handyempfang Im Schnitt nutzen Jugendliche ihr Mobiltelefon zwar täglich während zweieinhalb Stunden: Die neueste Schweizer Studie «James» zum Freizeit- und Mediennutzungsverhalten von 12- bis 19-Jährigen hat aber auch ergeben: Erstmals seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2010 zeigen sich Veränderungen in der Freizeit­ gestaltung. Die Jungen unternehmen häufiger etwas mit der Familie und gehen weniger in den Ausgang. Dafür wurden in der Kategorie «Rausgehen/Nach draussen gehen» 2018 mehr als doppelt so viele Nennungen gemacht als 2014. Gemeinsam draussen chillen wird dem Besuch eines Clubs also vorgezogen. Die Studie «James» wird von der Zürcher Hoch­ schule für Angewandte Wissenschaften im Auftrag der Swisscom durchgeführt. Anders ausgedrückt heisst «draussen chillen»: Von Jung und Alt geschätzt werden Natur­ erlebnisse, die Ruhe und Entschleunigung ver­ sprechen. Das bestätigenMarianne Hollenstein und Steff Kälin vom Hotel Alpenruh im Berner Oberland (vgl. Artikel unten). Obwohl sie nur in Notfällen eine (schwache) Internetverbindung anbieten und Handyempfang zuhinterst im malerischen Kiental Glückssache ist, kommen immer mehr junge Leute aus städtischen Ge­ bieten. Wie viele Gastronomen und Hoteliers sind sie überzeugt: Dieser Gegentrend wird an­ halten und ist für die Branche eine Chance. Marianne Hollenstein und Steff Kälin.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYwNzMx