Durst 05/2019

28  Markt & Trends D a ist sie wieder. Diese Besessenheit! Wie angeworfen. Sobald ich auf dem Markt Rhabarber erblicke, muss ich ans Werk gehen. Dann muss alles andere erst mal warten. Jahr für Jahr, seit über 20 Jahren immer dasselbe Ritual. Davor hätte ich es nie, aber auch gar nie im Leben je gewagt zu glau­ ben, dass ich selbst eines Tages je eine solche Tarte à la rhubarbe meringuée zustande brin­ gen würde: Sie war dort oben und ich hier unten! Sie ist meine absolute Spitzenlieblingstorte. Das ersteMal, als wir uns kennenlernten, werde ich niemals vergessen. Sie wurdemir in Strass­ burg – noch lauwarm – serviert. Da war es um mich geschehen. Verliebt und vergeben an die­ se himmlische Tarte bis ans Ende meiner Tage. Claudio Del Principe schreibt eine Ode an die Tarte à la rhubarbe meringuée Beim Barte des Rhabarbers – ein schönes Ritual Gibt es für Gastronomen etwas Schöneres als Gäste, die für ein ganz bestimmtes Gericht schwärmen, das sie sonst nirgendwo anders auf die gleiche Art serviert bekommen? Die unvergleichliche Tarte à la rhubarbe meringuée ist so ein Fall. Dafür pilgerten Generationen ins «Au Grenadier» bei Strassburg. Aus Nostalgie backe ich sie jeden Frühling nach. Ein schönes Ritual. Die Tarte à la rhubarbe meringuée – Claudio Del Principes Spitzenlieblingstorte. Die Liebesgeschichte hat sich im mittlerweile geschlossenen Restaurant «Au Grenadier» zu­ getragen und dort lief das so: Wer hineintrat und die seltene Rhabarbertorte auf demTorten­ tisch entdeckte, schickte dem «Bonjour!» eilig ein: «Oh lala! Tarte à la rhubarbe meringuée!» nach. Und dann fällte Madame hinter dem Tre­ sen ihr drakonisches Verdikt. Es war wie ein Sechser im Lotto, wenn sie mit einem milden Lächeln und breitem Elsässerakzent sprach: «Schö wä wus on reserwee ön morsoo!» Und es war gruseliger als das Krachen einer Guillo­ tine, wenn sie sich verlegen auf die Unterlippe biss und die bitteren Worte sprach: «Desolee, y on a plü…» Dabei lag doch die ganze Torte noch da! Jungfräulich unberührt. Mit dem wolken­ weichen Überzug aus feinstem Baiser. Aber so war das. Wer zuerst fragte, bekamsein Stück zugewiesen und reserviert. Und dann, wenn die ersten Gäste mit dem Mittagessen fertig waren und zumNachtisch kamen, wurde die Tarte angeschnitten und verteilt. Das war dann – sofern man nicht zu den Auserwählten gehörte – der zweite Rhabarbertorten-Tod, den man sterben musste. «Lauwarm schmeckt die Tarte göttlich – tags darauf fast noch himmlischer.»

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