Durst 02/2019
Markt&Trends 29 nische Espressomaschine. Ich hätte mir die Anschaffung ja immer noch nicht gegönnt. Aber mein Schwager hat sie mir zu einem Schnäppchen überlassen. Das ist auch eine kuriose Geschichte. Er ist einer, der jeden Tag locker zwanzig Espressi trinkt. Also dachten seine Kollegen, zu seiner Pensionierung wäre eine rechte Espressomaschine das richtige Abschiedsgeschenk. Aber seit er imRuhestand ist, trinkt er fast keinen Espresso mehr. Die Herausforderung Umso mehr schraube ich meinen Konsum kontinuierlich hoch. Hauptsächlich, weil ich seit einem Monat noch nicht annähernd einen an- ständigen Espresso zustande gebracht habe. Das ist echt richtig kompliziert. Je nach Kaffee- sorte, Mahlgrad, Tamperdruck, Wetterlage oder Stimmung unserer Katze braut sich im- mer etwas anderes zusammen. Weit, weit ent- fernt von meiner Vorstellung eines perfekten Espressos. Und dann soll ich auch noch selber rösten? Aber das Beste: Wissen Sie, was mir Coffee-Hipster sagen? Italiener seien ehBarba ren. Rösten den Kaffee zu Tode. Hätten keine Ahnung, wie toll Kaffee wirklich schmecken kann. Na, da hab ich mir ja was vorgenommen. um, fragen sich alle, schmeckt ein Espresso im Tessin okay, aber 50 Meter hinter der Grenze, an einer beliebigen Autobahnraststätte, haut einen dasselbe Gebräu fast aus den Socken? Das Personal hat zwar einen miesen Lohn, üble Arbeitszeiten und noch üblere Arbeitsuni- formen, aber hey, muss man das jeden Kunden spüren lassen? Nein, das hier sind Profis. Abgebrühte Baristi, die ihre Kaffeemaschine fahren wie Töffpilot Valentino Rossi seine Ducati. Jeder Handgriff sitzt. Siebträger ausklopfen: «Klonk, klonk!». Kaffee portionieren: «Schtlack, schtlack!». Eindrehen, Knopf drücken: «Brrrrrrrrr!». Wie in Zeitlupe rinnt die mokkabraune Crema in die dickwandige Tasse. Untertasse und Löffelchen auf den Tresen stellen, Zuckerdose ranschie- ben, Tasse absetzen, Kassenticket schnappen, einreissen, 360-Grad-Flip mit der nächsten Untertasse für den nächsten Kunden, einmal wischen: «Caffè, per lei?» Ich könnte diese Operette stundenlang beobachten. Das Geschenk Jetzt gilts ernst. Nach einer gefühlten Ewigkeit und hektoliterweise von rabenschwarzem Es- presso Napoletano aus der Moka-Express, bin ich endlich stolzer Besitzer eines zweikreisigen, dampfzischenden Kolosses. Eine echte italie- Claudio Del Principe hat seine eigene Hefe gezogen und bäckt damit sein eigenes Sauerteigbrot. Pasta wird von Hand gerollt und jeder Fond selbst angesetzt. Aber ei- nen anständigen Espresso hat er bisher noch nicht hinbekommen. Weitere Inspira- tionen gibt es auf seinem Foodblog oder seinem Instagramprofil. www.anonymekoeche.net @claudio_anonymekoeche Claudio Del Principe und ein anständiger Espresso Auch auf die Maschine kommt es an. grüssen. Aber – sind wir ehrlich – das Leben wird dadurch nicht einfacher. Wenn man heute jedes Genuss- und Lebensmittel von A bis Z selbst zurückverfolgen und sorgfältigst zube- reitenmöchte, entspräche das glatt einemFull time-Job. Die Zubereitung einer Tasse Espres- so wird derart auf die Spitze getrieben, dass die akkurate Feinjustierung aller Parameter ohne Barista-Ausbildung nur in Frustration münden kann. Also bucht man beim Kauf gleich noch einen Workshop dazu. Ein kostspieliges Hobby. Das Kapseldilemma Auf der anderen Seite stecken wir in einem grossen Kapseldilemma. Je schneller wir da wieder rauskommen, desto besser. Zu teuer, zu unökologisch, zu unfair und zu allem anderen auch noch: zu fad. Klar, es ist halt bequem, eine Kaffeekapsel einzuwerfen und Bedenken ein- fach zu entsorgen. Doch da bleibt ein schaler Nachgeschmack. Erstaunlich auch, in wie vie- len Spitzenrestaurants immer öfter vergleichs- weise langweiliger Espresso serviert wird. Je- des Gericht einemeisterhafte Komposition und zum krönenden Abschluss eine Tasse null achtfünfzehn? Schön, dass es da Köche gibt, die keine Kom- promisse machen. Ausnahmekoch Andreas Caminada zum Beispiel röstet auf Schloss Schauenstein seit Neustem selbst und bietet in seinem Gourmetrestaurant eine Auswahl un- terschiedlicher Kaffee-Provenienzen und -Rös tungen an. Oder Spitzenkoch Tobias Funke. Im Gasthaus zur Fernsicht in Heiden wird Espresso serviert, der diesen Namen verdient. Gebraut von extra geschultemPersonal mit italienischen Maschinen der Extraklasse. Das ist imVergleich zu Vollautomaten ein bisschen wie Ferrari. Die Operette Überhaupt. Nehmen wir mal italienischen Es- presso als Mass aller Dinge. Da kann man fra- gen, wen man will. Alle werden zustimmen, dass er nirgendwo besser schmeckt. Und war- «Schaler Nachgeschmack: Wir stecken in einem grossen Kapseldilemma.» «Auf Schloss Schauenstein röstet Andreas Caminada seit Neustem selbst.»
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