Durst 05/2018

10  Hauptgang Sie sind fit und unternehmungslustig. Mal ganz ehrlich: Würde es Sie nicht reizen, nochmals ein Traineramt anzunehmen? Köbi Kuhn (lacht): Nein, damit habe ich mit doch schon 74 Jahren definitiv abgeschlossen. Als ich 2008 als Nationaltrainer zurücktrat, hat das noch anders ausgesehen. Ich hätte die U21-Nati übernehmen können, die ich ja schon einmal trainiert hatte. Meine damalige Frau war aber leider lange Zeit sehr krank. Bis zu ihrem Tod im Februar 2014 brauchte sie mei- ne volle Unterstützung, ein Traineramt kam deshalb nicht in Frage. Fliegen Sie nach Russland, um die Spiele der Nati live im Stadion zu sehen? Das hatten meine Frau Jadwiga und ich ur- sprünglich vor. Dann merkten wir, dass die drei Gruppenspiele der Schweiz über ganz Russland verteilt sind und man zwischen den Matches stundenlang fliegen muss, um live dabei zu sein. Zudem befinden sich die Hotels weit von den Stadien entfernt. Diesen Wahn- sinn wollten wir uns nicht antun. In den letzten Monaten waren wir fast zu viel unterwegs, jetzt gönnen wir uns etwas mehr Ruhe. Dann schauen Sie sich die Spiele gemütlich zu Hause vor dem Fernseher an? Nein, so sehr erholungsbedürftig sind wir nun auch wieder nicht. Eine Fussball-WM lädt doch zu Geselligkeit ein. Wir werden irgendwo in Zürich zum Public Viewing gehen, im Garten eines Restaurants ein Bier geniessen und uns die Spiele gemeinsam mit den Fans ansehen. Das ist es doch, was eine WM ausmacht. Und das ist eine grosse Chance für die Gastro- nomie: Man stellt einen Fernseher auf, zapft frisches Bier, bietet feineWürste an, und schon hat man viele Gäste und eine tolle Stimmung. Sie scheinen Bier zu mögen. Die Zürcher Marke Hürlimann hat Sie jedenfalls zum «Hürlimann des Jahres» gewählt. Ein kühles Bier zur richtigen Zeit ist etwas Wunderbares – und wenn man sich gemein- sam mit anderen Menschen ein WM-Spiel der Schweiz ansieht, ist die richtige Zeit. Ich ge­ niesse gerne ab und zu ein Lager- und auch mal ein Spezialitätenbier. Ich tue dies aller- dings mit Mass. Aber keine Frage: BeimPublic Viewing gehört ein Bier ganz einfach dazu. Können Sie beim Public Viewing tatsächlich ruhig ein Bier geniessen? Werden Sie nicht ständig von Fans belagert? Klar, man erkennt mich und ich gebe viele Autogramme. Die Schweizer sind aber ein dis- kretes Volk. Die Belagerung von Prominenten geht nicht so weit wie in anderen Ländern. In der Tat: Jetzt sitzen wir schon fast eine Stunde im Restaurant Schlachthof beim Stadion Letzigrund, und wir können ungestört miteinander sprechen. Ja, der «Schlachthof»! Der war vor langer Zeit, als ich noch Spieler des FC Zürich war, unser Stammlokal. Vor den Matches hatten wir im Säli unsere Teamsitzungen. Da kommen schö- ne nostalgische Gefühle auf. Blicken wir trotz der nostalgischen Gefühle nach vorne: Wird sich die Schweiz an der Weltmeisterschaft in der Gruppe mit Brasilien, Serbien und Costa Rica fürs Achtelfinale qualifizieren? Ich war erstaunt und musste schmunzeln, als ich hörte und las, dies sei ein Superlos. In mei- nen Augen ist dies kein einfaches Los, und ich ziehe den Hut vor dem Team, wenn es die Gruppenphase übersteht. Die Brasilianer wol- len den WM-Titel gewinnen und haben ganz gewiss nicht das Gefühl, die Schweiz sei ein übermächtiger Gegner. Auch für Serbien spie- len viele Fussballer, die in den besten Ligen der Welt einen Stammplatz haben. Das Team von Costa Rica kenne ich nicht sehr gut, aber es ist klar: Dieses Spiel muss man gewinnen. Die Schweiz hat zwar sehr wohl die Qualität, um die WM-Gruppenphase zu überstehen, im Voraus erwarten sollte man dies jedoch nicht. Die Nati hat in Russland die Chance, der gan- zen Welt zu zeigen, was sie kann. Und wie sagt man so schön: Wenn die Gruppenphase über- standen ist, ist alles möglich. 2010 in Südafrika hat die Schweiz im ersten Spiel den nachmaligen Weltmeister Spanien 1:0 besiegt. Ist es ein Vorteil, zuerst gegen Brasilien spielen zu können? Auf ein Bier mit dem früheren Fussball-Nationaltrainer Köbi Kuhn: «Ich werde mir die Spiele beim Public Viewing ansehen und mit den Fans ein Bier geniessen» Wie Tausende von Fans fiebert auch der frühere Nationaltrainer Köbi Kuhn der Fussball-WM in Russland entgegen. DURST traf ihn im Restaurant Schlachthof neben dem Stadion Letzigrund; dort, wo der Zürcher vor vielen Jahrzehnten als FCZ-Spieler an Teamsitzungen teilgenommen hatte. Köbi Kuhn erzählt, weshalb er in diesem Sommer nicht nach Russland fährt, was er der Schweizer Nati an der WM zutraut und warum der Fussball-Grossanlass auch für die Schweizer Gastronomie eine Chance ist. «Die Nati hat die Substanz, um jede Mannschaft bezwingen zu können.» Hürlimann des Jahres, Trainer des Jahres, Schweizer des Jahres: Köbi Kuhn (74) ist Träger vieler Auszeichnungen. Als Fussballer gewann der Zürcher zwischen 1962 und 1977 sechs Schweizer Meistertitel, fünfmal wurde er Cupsieger, und für das Nationalteam absolvierte er 63 Länder- spiele. 2001 wurde «Köbi National» Trainer der Nationalmannschaft und führte diese an die EM2004 inPortugal sowie an dieWM2006 inDeutsch- land. Nach der Heim-EM 2008 trat er als Nationaltrainer zurück. KÖB I K UHN «Die Fussball-WM ist eine grosse Chance für die Gastronomie.»

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